Downtown Scenes

Freuds Vergleich von Rom, der Ewigen Stadt, mit dem psychischen Leben ist die Triebkraft hinter Michael Willöfers fotografischer Übung in „Downtown Scenes". Städte sind, wie das psychische Leben der Menschen, Lebewesen mit einer reichen und verlängerten Vergangenheit, in denen „nichts, was jemals existierte, verschwunden ist und in denen neben der letzten Evolutionsphase auch alle vorhergehenden fortbestehen“. Das war es, was der Fotograf erkannte, als er mit der Kamera durch die Straßen des historischem Zentrums von Mexiko-Stadt ging. Eine Stadt, wo Jahrhunderte der Geschichte, verborgene Zeit und zeitlose Gleichzeitigkeit nebeneinander bestehen, wie in Rom und so vielen anderen Städten. Aus diesem Antrieb heraus schuf Willöfer diese fotografische Übung, die auch eine Frage des Lichts und eine Frage des Sehens ist: ein längerer Blick, geschriebenes Licht. Willöfer vertieft seinen Blick, in dem der Fremde sich im Angesicht einer unbekannten Stadt und Kultur schließlich sich selbst wiedererkennt. Ein Blick, der das Erstaunliche im Alltäglichen oder die Schönheit im Banalen hervorheben will: eine seltsame Öffnung in einer Metallplatte auf dem Boden, die dazu einlädt, nachzudenken, was es dort im Dunklen gibt; eine Pflanze in einem verbogenen Metallgitter auf dem Bürgersteig, die trotz ihres Käfigs wächst; ein Gebäude mit seinen elektrischen Schlagadern an der Oberfläche der Wand, die das Äußere auf andere Weise beleuchten, anstatt die Wände im Inneren zu erhellen; ein Eisblock, der in der Mitte der Straße zu schmelzen beginnt, als wäre er mit der Absicht dorthin gekommen, sich seinem eigenen Tod hinzugeben. Szenen des Alltäglichen, die durch eine Rahmung mithilfe des Fotos eine gewisse Pracht erlangen. Eine Pracht, die auch ein Glücksfall ist: Orte und Gegenstände voller Licht, Stille und Farben und eine spürbare Ruhe inmitten einer Stadt, die normalerweise von Lärm, Menschenmassen und Eile geprägt ist. Fotografien, die uns daran erinnern, dass es selbst inmitten des Chaos möglich ist, die Ruhe und einen Blick zu finden, aus denen heraus man sich der Kontemplation hingeben kann und hinter das Offensichtliche zu schauen.

Giorgio Lavezzaro

Mexiko-Stadt, Historisches Zentrum, 2010-2014

Freud's comparison of Rome, the Eternal City, with psychic life is the driving force behind Michael Willöfer's photographic exercise in Escenas del Centro - Downtown Scenes. Cities, like human psychic life, are living beings with a rich and prolonged past in which "nothing, what ever existed has disappeared and in which, in addition to the last evolutionary phase, all those phases that preceded still persist." This is what the photographer realized as explored with the camera the streets of the historic center of Mexico City. A city where centuries of history, hidden time and timeless simultaneity coexist, as in Rome and so many other cities. With this drive Willöfer created this photographic exercise, which is also a question of light and a question of seeing: a longer look, written light. Willöfer deepens his gaze, in which the stranger finally rediscovers himself in the face of an unknown city and culture. A look that wants to highlight the beauty in the banal event: a strange opening in a metal plate on the floor that invites you to imagine what is there in the dark; a plant in a twisted metal grid on the sidewalk, growing despite its cage; a building with its electrical arteries on the surface of the wall illuminating the outside in a different way - instead of illuminating the walls inside; a block of ice that begins to melt in the middle of the street, as if it came there with the intention of surrendering to its own death. Everyday scenes that gain a certain splendor through framing with the help of the camera. A splendor that is also a stroke of luck: places and objects full of light, silence and colors and a palpable tranquility in the middle of a city usually characterized by extreme noise, crowds and incessant haste of people. Photographs that remind us that even in the midst of chaos it is possible to encounter silence and a gaze that invites you to contemplate and see beyond the obvious.

Text by Giorgio Lavezzaro

Mexico City, Centro Histórico, 2010-2024

Zurück
Zurück

Half the Sky